Hasse Volkstümlich von Marion W.

Hasse Volkstümlich von Marion W.
Eigentlich bin ich kein Freund der Volksmusik. Mir ist dieses Heile-Welt-Geschunkel suspekt, und ich weigere mich, ein Dirndlkleid zu kaufen, auch wenn ich darin – in aller Bescheidenheit – klasse aussehe (ausgetestet in einer Umkleidekabine beim C&A). Den meisten Vertretern dieser Branche stehe ich relativ emotionslos gegenüber. Nun ja, auch wenn ich die etwas kantigeren Klänge von Nickelback oder Bon Jovi bevorzuge und gerne mal mein kurzes Haar in Rocker-Manier zu “Summer of 69” schüttele… irgendwo ganz tief in mir scheint es doch eine Ecke zu geben, die empfänglich ist für Folklore… Alles fing damit an, dass Petra mich in aller Unschuld fragte, ob ich Lust hätte, zu dem Seer-OpenAir am Grundlsee zu fahren. Meine Informationsstand war folgender:
1. Ich kannte nur ein einziges Lied der Gruppe, das mir ausgesprochen gut gefiel – auch wenn ich mir anfänglich überhaupt nicht sicher war, in welcher Sprache diese Leute singen. Irgendwann begann ich aber, vertraute Modulation zu erlauschen, und ich verstand: es ist Dialekt! Die Lautfolge “Wiaawüdswossa” (= “Wie ein wildes Wasser”, Anm. d. Admins) hat nichts mit dem osteuropäischen Sprachraum zu tun! Es sind Österreicher!
2. Eine Arbeitskollegin war im Vorjahr bei diesem Open Air gewesen, und hatte sich hochgradig begeistert geäußert.
3. OpenAir ist immer gut.
Ich sagte also zu, wir kauften die Karten und ergingen uns in der Vorfreude auf einen schönen Sommerabend in Österreich bei schöner, anspruchsvoller Musik. Natürlich kann man nicht völlig unvorbereitet zu so einer Veranstaltung gehen, und so besorgte ich mir ein paar CDs. Vier Stück mit so schönen Titeln wie “Aufwind”, “Lebensbaum”, “Über´n Berg” und “Best of”. Als ich die erste auflegte, kam Jörg von den ungewohnten Klängen angelockt ins Wohnzimmer und stieß völlig entsetzt hervor “Wosn des?” Das entsprach ungefähr meinen Gedanken, und so standen wir schließlich prustend vor der Stereoanlage und fielen uns, Tränen der Heiterkeit vergießend, in die Arme. So ein Gejodel! Und die Texte! Höhepunkte des literarischen Schaffens waren in meinen Augen folgende Passagen: “Wenn´s im Soizkammaguat renga duat, dann rengts gscheit” und “Von da Oim hoch her kummt a klaana Bär”…. Flori, hilf!!!!
Nach dem ersten Schock über die Juchizer kristallisierte sich aus den CDs bei genauerem Hinhören dann doch der eine oder andere ganz schöne Song heraus, so dass Petra und ich zu der Übereinkunft kamen, die Karten nicht in den Reisswolf zu stecken, sondern hinzufahren. Und nun bitte ich um Eure Aufmerksamkeit: es war großartig!!! Trotz Regen und äußerst ungemütlicher Temperaturen war diese OpenAir ein wirklich durch und durch tolles Erlebnis. Ich, die ich bereits bei Konzerten von Bon Jovi, Bryan Adams und Reamonn getanzt und deren Songs mitgegröhlt habe, fand mich bei diesem Konzert mit der neben mir auf der Bierbank sitzenden Dame SCHUNKELND wieder!! Mit der allergrößten Hingabe schmetterte ich “Du kimmst wie da JUUUUNISCHNÄÄÄÄ” oder “Wann der AAAUUUUFWIND waht…” Und Petra… Petra hatte dieses ekstatische Glitzern in den Augen, das normalerweise nur erscheint, wenn AC/DC gespielt wird… Es mag an der malerischen Kulisse gelegen haben, an der Kälte, die einen zusammenrücken ließ, oder einfach an der Trotzigkeit, mit der ich etwas in vollen Zügen genoss, für das ich zu Hause milde belächelt wurde… Ich fühlte mich für ein paar Stunden als vollwertiger Teil dieses fröhlichen Kollektivs, das klatschte und jubelte und sang… Live erlebt, war ich sogar bereit, die Jodler und Juchizer zu tolerieren. Und das erstaunlichste: ich sah keinen Grund, die Texte zu belächeln – ich hab sie geglaubt! Jedes Wort war für mich ehrlich und authentisch. Ist es noch jetzt, wenn ich dasitze und die Lieder wieder von der CD höre. Ganz egal, ob die Rede von der Heimat ist, von den Freunden, der Familie, Abschied oder Sehnsucht… Für mich klingt es glaubhaft, ehrlich und nachvollziehbar!
Haben es diese Schlawiner aus dem Salzkammergut tatsächlich irgendwie geschafft, meinen Widerstand gegen die Voiksmusi zu brechen… Aber damit wir uns richtig verstehen: es bleibt bei den Seern, okay?
Marion W.